Kumaré

Kumaré des US-amerikanischen Regisseurs Vikram Gandhi ist eine humorvolle und zugleich tiefsinnige Auseinandersetzung mit der Rolle spiritueller Führer.

Gandhis Familie stammt aus Indien, und seine insbesondere seine Großmutter war praktizierende Hindu. Während er sich immer weiter von der Religion seiner Familie entfernt, wendet sich die Gesellschaft um ihn genau diesen Lehren zu. Als studierter Theologe wollte Gandhi zunächst einen Film über Gurus machen. Doch das Gefühl, dass es keine echten Gurus gibt, ließ ihn nicht los.

Also entschloss er sich zu einem radikalen Experiment. Er gab vor, ein indischer Guru zu sein. Wenn er das kann, dann sei das der Beweis, dass jeder ein Guru sein kann.

Schnell findet er Menschen, die sich ihm und seinen Lehren anschließen. Er lehrt sie, dass es keine echten Gurus gibt, dass jeder sein eigener Guru sein kann. Komik entsteht daraus, dass er umso mehr als Guru gesehen wird, je offener er seine wahre Identität beschreibt. Seine Kleidung und sein Habitus wirken stärker.

Dabei schafft er es sogar, seinen Anhängern Wege zu einem gelingenderen Leben zu eröffnen. Die Begegnung mit Sri Kumaré verändert das Selbstbild seiner Anhänger.

So entsteht das, was Gandhi in der Einleitung beschreibt: Die Geschichte der größten Lüge, die er erzählte, ist die Geschichte der tiefsten Wahrheit, die er entdeckte.

Der Film regt zum Nachdenken an: Was ist Spiritualität, was ist Glaube? Welche Rolle haben Vorbilder und Lehrer? Dabei ist Gandhi/Kumaré sehr humorvoll und voller Respekt für die Menschen, die mit ihren Sorgen und Nöten zu ihm kommen.

Der Film ist in Deutschland als DVD bei Zweitausendundeins erhältlich und wird bei iTunes und Watchever vertrieben.

Alphabet

Alphabet des ist eine Auseinandersetzung des österreichischen Regisseurs Erwin Wagenhofer mit den Bildungssystemen dieser Welt. Er porträtiert eine Reihe von Menschen, die sich kritisch mit Bildung auseinandersetzen oder besondere Bildungswege gegangen sind.

Obwohl er mit Arno Stern einen Aktivisten für das freie, selbstbestimmte Lernen porträtiert, gibt Wagenhofer keine Antworten. Pablo Pineda Ferrer hat innerhalb des Schulsystems den Lehrer gefunden, der in dem Kind mit Down-Syndrom den künftigen Psychologie-Professor sah.

Die Frage Pineda Ferrers, die auch den Untertitel des Films prägte, ist zwar rhetorisch, wirft aber eben neue Fragen auf: Wollen wir unsere Kinder mit Furcht oder mit Liebe erziehen?

Der Film ist nicht ausgewogen, Wagenhofer will, dass wir die Annahmen hinter unseren Schulsystemen hinterfragen. Aber da er keine vermeintlich einfachen Antworten gibt, ist er dennoch nicht einseitig. Alles in allem gehört er zu den Filmen, an die ich besonders häufig zurückdenke, weil er im positiven Sinne beunruhigend ist.

So hat mich doch erstaunt, wie Andreas Schleicher von der OECD einerseits zum chinesischen System kommentiert, dass man das seinen Kindern nicht wünschen würde, aber andererseits die “objektiven” Erfolge Chinas bei den PISA-Studien würdigt.

Alphabet läuft zur Zeit in vielen deutschen und österreichischen Kinos.

 

Cutie and the Boxer

Mit Cutie and the Boxer hat Zachary Heinzerling einen wunderbaren Film über Kunst und Liebe geschaffen.

Die Kamera folgt der japanischen Künstlerin Noriko Shinohara, die in einer Graphic Novel ihre Ehe mit dem boxenden Künstler Ushio Shinohara Revue passieren lässt.

Noriko kam als junge Frau nach New York City, weil ihre reichen japanischen Eltern ihre künstlerische Entwicklung fördern wollten. Sie trifft den zwei Jahrzehnte älteren Ushio, der sich als erster Action Painter in Japan einen Namen gemacht hatte und ebenfalls sein Glück in New York suchte.

Ushio wird ihr Lehrer, Mentor, Ehemann. Es zeigt sich schon bald, dass der Künstler neben sich keine andere Künstlerin dulden will oder kann. Seine Alkoholismus verhindert, dass aus Erfolg als Künstler auch wirtschaftliche Stabilität wird. Erst jetzt, vierzig Jahre später, wagt Noriko es, sich von ihrem Mann künstlerisch zu emanzipieren.

Gleichzeitig sind beide einander in tiefer Zuneigung verbunden. Nur die Kunst und das Reden über Kunst ermöglicht es den beiden, das auch zum Ausdruck zu bringen. So fragt Ushio beim Betrachten der Geschichte, die seine Frau malt, ob die Frau den Mann liebt. Noriko bejaht (“Sehr”) und Ushio ist glücklich.

Ushio hat in jungen Jahren großen Erfolg mit geboxten Bildern gehabt. Und noch im hohen Alter steigt er mit seinen Leinwänden in den Ring um immer wieder neue Variationen seines originellen Einfalls zu schaffen. In einer Frühstücksszene zu Beginn des Films erklärt er, dass Spielberg nach Dem Weißen Hai nichts großes mehr geschaffen habe; Das erste Werk sei immer das beste. Diese Szene ist der Schlüssel zu seinem künstlerischen Dilemma. Er sucht nach dem zweiten genialen Einfall, aber nichts erreicht seine erste Idee.

Trotzdem gehen beide weiter Tag für Tag ins Atelier. Sie können nicht anders als Kunst zu schaffen.

So müssen wir uns Cutie und ihren Boxer am Ende in der Kunst und in der Liebe trotz allem als glückliche Menschen vorstellen.

 

Dangerous Acts Starring Unstable Elements of Belarus

Dangerous Elements Starring Unstable Elements of Belarus ist ein Film der US-amerikanischen Regisseurin Madeleine Sackler über das oppositionelle Belarus Free Theatre.

Sackler schafft es, das Gefühl der fehlenden Freiheit, wie es in der Diktatur Lukaschenkos in Weißrusslands herrscht, nachspürbar zu machen.

Das gelingt einerseits durch eindrückliches Bildmaterial von den Demonstrationen nach der Wiederwahl Lukaschenkos 2010. Nachdem friedliche, aber eindeutig regierungskritische Demonstrationen gewaltsam beendet werden, bringen die Menschen ihren Protest zum Ausdruck, indem sie still durch Minsk gehen und ab und zu in Applaus ausbrechen. Als die Staatsmacht wahllos Menschen aus den Gruppen heraus verhaftet, wird klar, dass im Zweifel nicht einmal mehr der Anschein von Rechtsstaatlichkeit gewahrt werden wird.

Die Theatergruppe selbst führt ebenfalls eine Existenz, deren Ambivalenz die mangelnde Freiheit umso bedrückender macht. Drei Mitglieder der Gruppe hatten offen einen Gegenkandidaten Lukaschenkos unterstützt und gehen ins Exil, um einer Verhaftung zu entgehen. Gemeinsame Auftritte sind fortan nur noch im Ausland möglich. Dabei setzt sich die Kompanie beispielsweise im Stück “Minsk 2011″ kritisch mit der Regierung Weißrusslands auseinander und gewinnt beim schottischen Fringe Festival den Theaterpreis.

Dennoch kehrt ein Teil der Gruppe zurück nach Weißrussland zu den jeweiligen Familien. Sie führen auch weiterhin Stücke in Minsk in einem Untergrundtheater auf. Gleichzeitig ist für die im Exil lebenden Mitglieder der Weg zurück versperrt.

Gerade diese Ambivalenz von Freiheit und Unfreiheit, die nicht Schwarz-Weiß ist, sondern Abstufungen der individuellen Freiheit zwischen den verschiedenen Akteur*innen erkennen lässt, macht den Mangel an Freiheit umso beklemmender.

Nicht einmal die Unfreiheit ist sicher.

The Good Son

The Good Son von Shirley Berkovitz erzählt die Geschichte von Or, der seine Eltern um die gesammelten Ersparnisse betrügt, um seine Geschlechtsanpassung in Thailand bezahlen zu können.

Dabei kann Berkowitz zunächst auf umfangreiche Videoaufnahmen zurück greifen, mit denen Or das eigene Dilemma und den Betrug dokumentiert. Berkowitz ist ab dem Flug nach Thailand dabei.

Sie folgt Or nach der Operation in die Rehabilitation und dann zurück nach Israel. Als “Fly on the Wall” verzichtet sie gänzlich auf Interviews und eigene Kommentare. Or ist durch den Betrug keine einfache Heldin. Erst die wirklich grausame Reaktion ihres Vaters, als er erfährt, dass er fortan eine Tochter hat, ließ mich glauben, dass es für sie vielleicht wirklich keinen anderen Weg gab.

Dennoch ist der Film ein optimistischer Film: Or ist eindeutig bei sich angekommen, und ihre Familie (Bruder, Mutter, Vater) brauchen zwar unterschiedlich lange, aber sie alle nehmen Or am Ende so an, wie sie ist.

 

Shado’man

Shado’man von Boris Gerrets folgt dem Leben von Menschen mit Behinderung in den Straßen von Sierra Leone.

Der Film ist visuell beeindruckend, da er komplett nachts gedreht wurde. Gerrets griff während der Dreharbeiten auf die Werke von Breughel und Rembrandt zurück, und der Film erinnert an deren Kunst, mit Dunkelheit zu malen.

Man spürt, dass Gerrets seinen Charakteren mit großem Respekt begegnet, so dass ein Film entstanden ist, der einer Gruppe von Menschen folgt und sie ihre Geschichten erzählen lässt.

Eine Auswahl an Filmstills befindet sich auf der Website des Films.

Le papier ne peut pas envelopper la braise

Le papier ne peut pas envelopper la braise (Papier kann keine Glut umfassen) ist ein Film des kambodschanischen Regisseurs Rithy Panh über Prosituierte in Kambodscha von 2007.

Panh filmt ein Gruppe von Frauen, die gemeinsam leben und die gleiche Zuhälterin haben. Die Frauen erzählen sich gegenseitig, warum sie sich prostituieren, warum sie nicht zurück in ihre Dörfer gehen.

Ohne eigene Kommentare schafft es Panh, den Frauen eine Stimme zu geben und lässt uns teilhaben an ihrer Welt. Menschenhandel und Schuldknechtschaft, aber auch Verrat an den eigenen Geschwistern werden angesprochen, wenn es um die Ursachen geht. Schwangerschaften, unsichere Abtreibungen, gewalttätige Freier und Drogenmissbrauch sind alltäglicher Teil des Lebens der Hauptfiguren.

Der Film hat mir auch deshalb gefallen, weil er langsam erzählt und sich einer Wertung enthält.

Das fehlende Bild

Das fehlende Bild (L’image manquante) ist ein autobiografischer Film des in Frankreich lebenden Rithy Panh. Er erzählt über die Kindheit Panhs im Kambodscha Pol Pots.

Neben der beeindruckenden Schilderung seiner Zeit im Arbeitslager setzt sich Panh mit dem fehlenden Bild auseinander. Es existieren nur Propagandafilme, aber die Erinnerungen von Panh werden nicht von Filmmaterial bezeugt.

Anstatt die Szenen mit Menschen nachzustellen (Re-Enactment) und so eine Scheinauthentizität zu erzeugen, greift Panh auf Lehmfiguren zurück. Er stellt die etwa handgroßen Figuren für die Szenen seiner Erinnerung im Reisfeld auf und fährt mit der Kamera diese Stillleben ab, um seine Erinnerungen zur bebildern.

Er erinnert mich damit an den israelischen Film Waltz with Bashir des Regisseurs Ari Folman, der seinen Kriegserinnerungen nachspürt und diese mit Trickfilm bebildert. Auch Folman kann nicht auf Bilder zurück greifen.

Der Film gewann 2013 einen Preis in Cannes, lief in der Rithy-Panh-Retrospektive beim IDFA 2013 und wurde bereits am 6. Dezember 2013 auf Arte ausgestrahlt.